Es hat schon etwas Bezeichnendes, wenn man den Kunden, der keinen V8-Diesel in seinem Luxus-Geländewagen möchte, nun vor die Qual der Wahl stellt: Fünfliter-Achtzylinder mit Kompressor und 525 oder Fünfliter-Achtzylinder mit Kompressor und 565 PS? Sie haben richtig gelesen: wer keinen Diesel (möglicherweise motiviert durch die aktuelle Diskussion) haben will, bekommt zum Einstieg in die Welt des Land Rover Range Rover lediglich einen mehr als satt präparierten Achtzylinder präsentiert – den ebenfalls verfügbaren Hybriden lassen wir hier ganz bewusst unter den Tisch fallen und Kenner dieses Mediums werden wissen, warum.
Ein echter Range Rover braucht einen echten Antrieb
So lassen wir uns das schon gefallen, denn die Kombination aus fünf Litern Hubraum, acht Zylindern und einem Gewicht von deutlich über 2,3 Tonnen findet sich mittlerweile nur noch recht selten im Automobilbau. Alles ist geprägt von angeblichem Leichtbau (weshalb ein Audi A4 ja gut und gerne 1,8 Tonnen wiegen darf), der wiederum resultiert in unsäglichem Downsizing. Spritsparmaßnahmen sind überall angesagt, kleinvolumige Turbomotoren gehen der Reihe nach an der Ampel aus und im Kombiinstrument kann man derweil Bäume wachsen lassen. Na herzlichen Glückwunsch. Ein echter Range Rover braucht auch einen echten Antrieb und nicht so ein Pseudo-Gedöns mit Papierleistung, das von Laufkultur so weit weg ist wie Spanien von der schwarzen Null.
Das war, wir erinnern uns, schon immer so. Bereits 1970 trug der erste Land Rover Range Rover einen 3,5-Liter großen V8 unter der beinahe zierlichen Karosserie, die zudem lediglich drei Türen hatte. Erst im Jahr 1981 konnte Land Rover den fünftürigen Range Rover selbst anbieten, bis dahin wurden einige Fünftürer in Lizenzarbeit von der Schweizer-Manufaktur Monteverdi hergestellt. Auch im weiteren Modellverlauf boten die Briten zwar regelmäßig kleinere Varianten – meistens in Form von Dieselmotoren – an, doch der V8 als Basismotorisierung blieb. Das galt auch für das Modell, das unter der internen Bezeichnung “LM” oder “L322” firmiert und den Weg von Land Rover unter BMW-Regie bis zur Ford-Herrschaft begleiten durfte. Das Exemplar, das sich zu unserer Vergleichsfahrt mit dem aktuellen “LG” oder “L405” gesellt, ist ein frühes Modell und trägt den 4,4-Liter großen V8-Sauger mit 286 PS von BMW unter der Haube.
Er rollt beinahe etwas verschüchtert zu unserem Treffpunkt irgendwo in der Wallachei zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz, dabei muss er sich ob seiner Ausmaße lange nicht verstecken. 4,97 Meter in der Länge, 195 Zentimeter in der Breite und 1,99 Meter in der Höhe misst der L322 und liegt damit nur knapp hinter dem L405, überragt diesen in der Höhe sogar und ist hinsichtlich seiner Leermasse ein echtes Schwergewicht, er bringt nämlich rund 2,8 Tonnen auf die Waage. Und doch kommt der Range Rover der Vorgängergeneration im Vergleich zum heutigen Auto daher wie Rick Astley zu Peter Gabriel.
Man hätte in der Überschrift auch formulieren können: Seriös oder Böse? Brust oder Keule? Mit seinen schwarz lackierten Felgen, den ebenso schwarzen Akzenten rundum (Black Pack, eher etwas für Wüstensöhne) wirkt der aktuelle Range Rover ein wenig wie eine Karikatur seiner selbst, doch glücklicherweise kann man ihn ja auch anders, deutlich seriöser konfigurieren.
Der fahrende Landsitz der Queen
Da Alter bekanntlich immer vor wie auch immer gearteter Schönheit geht, steigen wir zunächst in den immerhin schon 14 Jahre alten Range Rover LM. Rund 190.000 Kilometer haben zwar ihre Spuren hinterlassen, doch im Großen und Ganzen steht das Modell immer noch in überdurchschnittlich gutem Zustand vor uns. Klar, die damals in spezieller Softtouch-Optik lackierten Türgriffe, Embleme und Verblendungen neigen sowohl außen als auch innen langsam dazu, etwas abgegriffen auszusehen, doch viel Leder und echtes Holz lassen immer noch eine mehr als wohnliche Atmosphäre im gealterten Range Rover zu. Hinzu kommt wie bei allen Range Rover der lichtdurchflutete Innenraum dank großer Fensterflächen und schmal gehaltenen A-, B-, C- und D-Säulen, sodass man sich auf den großzügigen Ledersitzen mit feinem Keder fühlt wie Gott in … äh, die Queen auf der Fahrt zu ihrem Landsitz.
Zu dieser gediegenen Atmosphäre passt der säuselnde V8, der seine Stimme über den Fahrtwind nur bei etwas kräftigeren Gasstößen erhebt und sich sonst mit einem überaus edlen Klangbild mehr als zurückhält. Und auch wenn die 286 Sauger-Pferde und seine 440 Newtonmeter für heutige Verhältnisse aus dem großen Geländewagen keinen Spurtkönig machen, so ist es doch die ideale Motorisierung für dieses Auto. Weil sie so fein ist, weil der Antritt durchaus spontan ist – und weil man mehr Leistung einfach nicht braucht. Schnell fahren in einem Range Rover – es gehört sich einfach nicht. Und jeder versteht, wenn man es nicht tut. Also, das glauben wir zumindest, wir haben die Hinterherfahrenden nicht gefragt.
Umstieg ins neue Modell und schon auf den ersten Metern fällt auf: so große Unterschiede gibt es gar nicht. Was wir zunächst positiv werten, hatten wir doch schon befürchtet, aufgrund seiner Aktualität und der Gewichtsabnahme sei der Range Rover nun tatsächlich zu einem “SUV” mutiert, das Sportlichkeit durch übertriebene Härte oder vermeintliche Direktheit vortäuschen würde. Die Entwickler haben es jedoch – bewusst oder unbewusst – geschafft, den Spirit des Range Rover in die Neuzeit zu übertragen. Der Innenraum ist so luftig wie eh und je, viele fein verarbeitete Kuhhäute fallen ins Auge und wechseln sich mit edlem Holz und Aluminium in gekonntem Mix ab.
Über die Bedienung mittels zweier Touchscreens decken wir schnell den Mantel des Schweigens, widmen uns lieber dem Fahrgefühl. Und das ist noch genau so erhaben, lässig und cool wie in allen anderen Range Rover auch. Von weit oben schaut man auf die umherfahrenden Kleinwagen in Form von Q7 und Cayenne herab, genießt wahlweise den Klang aus der Meridian-Soundanlage oder aus den beiden Endschalldämpfern, wobei letzterer ebenso distinguiert ist wie im alten Modell. Zu einer ruhigen Fahrweise erzieht die Gasannahme mit Gedenksekunde, da war sogar der alte Range Rover mit seiner Fünfgangautomatik zackiger unterwegs. Doch Lenkung, Fahrwerk und Abrollkomfort sind auf absoluten Komfort ausgelegt – es fühlt sich im Vergleich zum Vorgängermodell eben alles nur eine Spur direkter und präziser oder einfach gesagt: noch besser an.
Wie viel Range Rover braucht man wirklich?
Und dann kommt der Moment, in dem der bisher so zurückhaltende neue Range Rover zum wahrhaftigen Sledgehammer wird. Fällt der rechte Fuß gen Bodenblech, so sammelt sich die Fuhre einmal, hebt die Schnauze Richtung Himmel und stürmt mit einer Vehemenz davon, dass selbst so manch ungestümer AMG-Fahrer nicht mehr hinterherkommt. Gedanken an Langsamfahrt oder Spritverbrauch sind schneller vergessen als man “Range Rover Vogue” aussprechen kann, so brachial gehen die 525 PS und 625 Newtonmeter des Supercharged-V8 zu Werke – als ob Gewicht auf einmal die schönste Nebensache der Welt wäre.
Das macht man einmal, das macht man auch ein zweites Mal, doch irgendwann bittet selbst ein 86 Liter fassender Tank um Nachsicht, zumal man bei den heutigen Spritpreisen doch ins Grübeln kommt, ob man anstelle von über 200 nicht lieber nur gut 100 Euro für 800 Kilometer investiert. Das geht mit Zurückhaltung nämlich auch, was uns wieder zu einer der Fragen bringt, die wir uns im Vorfeld gestellt haben: wie viel Range Rover braucht man eigentlich?
Fest steht nach unserer ausführlichen Tour mit beiden Range Rover, dass man einen braucht. Fakt. Vielleicht wäre die Kombination aus der Kraft des Fünfliter-Kompressormotors aus dem L405 mit der etwas puristischeren, unaufgeregten Form sowie dem knopflastigen Innenraum des L322 das Auto, das dem idealen Range Rover am nächsten kommt. Auch den L322 gab es mit einem Kompressor-V8. Wir werfen schonmal die Suchmaschinen an…
Bilder: Land Rover