Sucht man im Duden nach dem Wort “Trumm”, so erhält man folgenden Eintrag: “Substantiv, maskulin oder Substantiv, neutrum. Bedeutung: großes Stück / Exemplar von etwas.” Passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Wenngleich unser G, mit dem wir passend zur Präsentation seines überaus gelungenen Nachfolgers auf Abschiedstour an die Ostküste Deutschlands sowie auf ein paar Berge gekraxelt sind, in etwas sehr modischem Weißmetallic daherkommt. Geschenkt, so etwas lästiges wie Farbe kann einen G nicht verunstalten.
Im Kern seit 40 Jahren das gleiche Auto
Das G-Modell. Es ist streng genommen ein Relikt aus den Siebzigern, hat aber irgendwo zwischen iranischen Grenzpatrouillen und der Jagd seine Kargheit abgelegt und geht seit den frühen Neunzigern seine eigenen, deutlich luxuriöseren Wege. Dass er insgesamt gute 40 Jahre Zeit zu reifen hatte, merkt man jedem Scharnier, jedem Türschloss, jeder Oberfläche und jeder Pore des gelochten Designo-Leders an.
Wir entern über das Trittbrett – ein Detail, das beim G tatsächlich sinnvoll ist und nicht nur Pseudo-Offroadoptik suggerieren soll – den Innenraum und erkennen: Daimler hat es gut mit uns gemeint. Im positiven Sinne: Unser Testwagen ist mit allem vollgestopft, was auf der Aufpreisliste Rang und Namen hat. Designo-Vollleder, Rear Seat Entertainment, Soundsystem und Sitzbelüftung, um nur ein paar Details zu nennen.
Weniger Arbeitstier denn Luxusliner
Da stellt sich dem geneigten Betrachter schonmal die Frage, ob durch eine derartige Luxusausstattung nicht die ursprüngliche Idee des G-Modells kannibalisiert wird. Ein puristisches Arbeitstier war der W463 jedoch ohnehin noch nie, kombinierte bereits in seinem Erscheinungsjahr auf überraschend gekonnte und zugleich sympathische Weise luxuriöse Accessoires mit dem handfesten Militärcharme des Urmodells. Und schaffte es so in die erlauchten Kreise, die zuvor nur Range Rover fuhren. Doch der G wurde schick. Ein besserer Defender und ein etwas anderer Range Rover.
Die G-Klasse definiert Platz ganz anders
Wer noch nie oder lange nicht mehr in einem G gesessen hat, dürfte sich dennoch beim ersten Entern des Führerhauses etwas erschrecken. Erschrecken über die steile, extrem nah am Fahrer stehende Frontscheibe, über die intime Enge im Innenraum, über die Sitzposition, die etwas an einen Trecker erinnert. Und gleichzeitig dürfte er staunen, staunen über die perfekte Übersicht, die sich feilbietet, weil – ja, weil der G eben so ist, wie er ist. Eckig. Kubisch. Geradlinig. Ruhig. Letzteres zumindest dann, wenn man es geschafft hat, die Türen zuzureißen. Soft Close? Soft was?
Der G passt sich nicht an. Er passt an!
Nein, soft ist der G nicht, wie sich noch herausstellen wird. Und man darf auch nicht unbedingt ein Softie sein, um ihn zu fahren, das fängt schon bei der Sitzeinstellung an. Die zigfach verstellbaren Komfortsitze sind zwar überaus bequem, doch wer über Einsneunzig groß ist, flucht zu Anfang über die zu knappe Längsverstellung. Das dürfte sich mit dem neuen W464 und seinen gewachsenen Ausmaßen ändern. Aber man lernt ja schnell: Der G passt sich nicht an. Er passt an.
Mehr als kräftig: Der Selbstzünder 350d
Sobald die Fuhre, sorry: das Trumm, einmal rollt, sind diese Nebensächlichkeiten ohnehin vergessen. Bärig ziehen die 600 Newtonmeter unseres 350d aus dem Drehzahlkeller, die Übersicht auf SUV mit ihren lächerlichen Niederquerschnittsreifen, die bereits vor dem Bordstein einer Rewe-Einfahrt kapitulieren, ist perfekt. Vorne grüßen die beiden Blinker und kündigen das Ende der G-Nase an, hinten beschert das Reserverad einen gewissen Sicherheitspuffer. Nur für alle Fälle, versteht sich.
Und so gondeln wir mit einer Gelassenheit, die ihresgleichen sucht, durch die nordische Landschaft. Tempo 110 auf der Autobahn reicht völlig aus, die sehr gut arbeitende Distronic Plus verrichtet ihren Dienst ohne Probleme, die wohlklingende Soundanlage aus dem Hause Harman Kardon beschallt die Insassen vorzüglich, sofern sich diese nicht mit den Bluetooth-Kopfhörern ins Fernsehzimmer eine Reihe weiter hinten verzogen haben. Mit jedem Detail entschleunigt das G-Modell ein bisschen mehr. Selten sind wir so entspannt nach 900 Kilometern Fahrt ausgestiegen.
Trotz neuer Federung – ein Softie ist der W463 nicht geworden
Dabei vergisst man beinahe, dass man eigentlich immer noch in einem Ex-Militärfahrzeug sitzt. Denn über zwanzig Jahre Entwicklung gehen auch an einem W463 nicht spurlos vorbei. Gerade das Fahrwerk hat einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht, federt zwar noch lange nicht sänftenartig, aber absolut akzeptabel. Auch die Seitenneigung in Kurven hat sich spürbar verringert, selbst schneller gefahrene Abfahrten oder, falls es doch mal pressiert, höhere Autobahngeschwindigkeiten verlieren ihren Schrecken.
Doch wieder drängte sich diese Frage in den Vordergrund: wie gut ist der G-Wagen noch im G-lände? Und rächen sich dort die eben genannten Verbesserungen, die auch Mutti dabei helfen, die Kids jeden Morgen im G zur Schule zu fahren? Vorweg: die Antwort lautet Nein.
Ortswechsel. Ein etwas höherer Berg im Taunus, das klassische Revier für Leute in Radlerhosen und zu Unzeiten auch für Testfahrer der Autoindustrie. Doch beide Besuchergruppen nehmen in der Regel die breit ausgebaute, perfekt asphaltierte Straße bis rauf auf den Gipfel, wir werden diese heute nicht benutzen. Stattdessen schlagen wir uns ins Unterholz, wollen wissen, was geht: mit dem G.
Abschied und Fazit
Und es geht viel. Verdammt viel. Mühelos kraxelt er auf jede steil scheinende Anhöhe, zermürbt vormals stabil aussehende Baumstämme einfach mit seinem kolossalen Gewicht von 2,6 Tonnen, hängt sich bis knapp 40 Grad im Winkel in die Seile, nur um sich danach durch die nächste Matschgrube zu wühlen. Und wenn man vor Angst, gleich nicht mehr weiter zu kommen, lieber mal ne Sperre zuschaltet, tippt sich der G an seine virtuelle Stirn und scheint dem Fahrer “ist das wirklich alles?” zuzurufen.
Er wirft sein modisch weißes Kleid ab, wir vergessen die Designo-Ausstattung, vergessen den Grundpreis von rund 90.000 Euro, wir werden eins mit dem Auto. Am Ende scheitert es allenfalls an unserem Mut, noch weiter zu fahren. Es scheitert definitiv nicht am G. Der macht nämlich nicht den Eindruck, als würde ihn irgendetwas auf der Welt beeindrucken. Selbst auf härtestem Untergrund klappert nichts, in jedem Bauteil steckt eine unvergleichliche Sorgfalt und Stabilität, dass so manchem wirklich die Spucke wegbleiben.
Wir sind traurig, als wir den G nach unserem Test wieder abgeben müssen. Selten haben wir uns in einen Trumm so verguckt. Der G ist ein Auto für die Ewigkeit, man kann mit ihm sorgenfrei alt werden. Wir haben etwas Hoffnung, dass man das mit dem W464 ebenfalls kann.
Bilder: Mercedes-Benz