Mindestens 122.724,70 Euro hätte Mercedes-Benz gerne von potentiellen Kunden, die sich für einen AMG E 63 S 4Matic+ interessieren. Stolz waren die Preise bei den Stuttgartern schon immer und so sind gleichermaßen die Erwartungen hoch. Auf dem Papier, so viel ist sicher, lesen sich die Daten des E 63 S imposant: 612 PS, 850 Nm und eine optionale Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h sind ein Wort.
Der E 63 S ist damit zwar die stärkste E-Klasse aller Zeiten, jedoch nicht der stärkste Mercedes mit dem Konzernmotor M 177 DE 40 AL. Die Krone der Papiertiger geht hier weiterhin an die S-Klasse, deren 4,0-Liter-Achtzylinder zwar die gleichen PS leistet wie im E 63 S, allerdings einen Respektsvorsprung von zusätzlichen 50 Newtonmeter auf den kleinen Bruder erhält.
Dank 4Matic+ Allrad keine Traktionsprobleme
Die Leistung bekommt der Mercedes-AMG im Normalfall auch locker auf die Straße. Dank 4Matic+ Allradantrieb geht es in knapp 3,4 Sekunden auf Landstraßentempo, die Launch Control holt ob ihrer Vehemenz schon mal das Mittagessen aus der Magengrube hervor und generell scheint man im alltäglichen Straßenverkehr immer etwas flott unterwegs zu sein.
Das wird spätestens dann zum Problem, wenn uns andere Verkehrsteilnehmer auf dem Autobahnzubringer mit einem ordinären 150 PS Taxi verwechseln. Die Beschleunigung des Biturbo-Achtzylinders ist derart heftig, dass viele mit dem heranrasenden Stern überfordert sind. Rennsport gehört bekanntlich auf die Rennstrecke und der Mercedes-AMG E 63 S 4Matic + bietet reichlich davon.
Drift-Mode on!
Unter anderem gibt es einen Drift-Mode, der aus der Businesslimousine einen waschechten Quertreiber macht. Ob es nun sinnvoll ist, das 612 PS starke Muscle Car aus Affalterbach ohne ESP (denn anders funktioniert der Drift-Mode nicht) im öffentlichen Straßenverkehr zu bewegen, das lassen wir einmal dahingestellt.
Ebenfalls rennsportverdächtig ist der Klang des E 63 S. Obschon die abgeschnittenen Endrohre mit ihren Fake-Blenden ein Armutszeugnis für Daimler darstellen, was wir hören gefällt und lässt sich per Knopfdruck gar noch lauter machen. Lenkung, Fahrwerk und Automatik lassen sich ebenfalls nachjustieren, wobei wir gerade vom zackigen AMG Speedshift MCT 9‑Gang-Sportgetriebe nachhaltig beeindruckt sind.
612 PS mit beruhigender Wirkung
Wer den Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ zivilisiert bewegt, der wird feststellen, dass über 600 PS eine durchaus beruhigende Wirkung auf den eigenen Fahrstil haben können. Man steht über den Dingen, ertappt sich oftmals auf der rechten Autobahnspur und genießt das im Comfort-Modus bequeme Airmatic-Luftfahrwerk. Wenngleich die Lenkung, der Antriebsstrang und das Fahrwerk im Sport-Modus eine wirklich hervorragende Kombination abgeben – auf engen Hinterlandstraßen fühlt sich der AMG nicht immer wohl.
Dies liegt zum einen an den natürlichen Abmessungen und zum anderen am hohen Eigengewicht, das einen gerne ins Kurvenaus schiebt. Rund zwei Tonnen bringen zwar auch die Mitbewerber auf die Waage, ein Alpina B5 Bi-Turbo schafft es aber etwas galanter, den kompakteren (und leichteren) 3er zu mimen wie die E- eine C-Klasse.
Schwächen im Innenraum
Im Innenraum wird der E 63 S den hohen Ansprüchen, unserer Meinung nach, allerdings nicht zur Gänze gerecht. Als Kinder der 80er und 90er Jahre sind wir mit einer gewissen Mercedes-Qualität groß geworden, die heutige Modelle anscheinend nur noch teilweise zu bieten haben.
Negativ aufgefallen sind uns insbesondere Knarzgeräusche aus dem Bereich des Armaturenbretts und der Mittelkonsole, sowie die teils magere Materialauswahl. Man muss beileibe nicht jede unmögliche Stelle in einem Auto befingern, alltägliche Bedienfelder sollten aber – vor allem bei dem hohen Einstandspreis – in der Summe hochwertiger gestaltet werden. Größter Kritikpunkt hier: Das Alcantara-Leder-Lenkrad mit seinen Plastikknöpfen und den billigen Schaltpaddels.
Fazit
Einen Mercedes-AMG E 63 S 4Matic+ zu kaufen kann niemals eine Kopfentscheidung sein. So ein Auto kaufst du dir aus Überzeugung, aus Freude am Fahren und vielleicht aus dem Gedanken heraus eine unverwüstliche Powerlimousine zu erhalten. Der E 63 S begeistert mit seiner schieren Kraft, dem tollen Getriebe und wie er sich im alltäglichen Straßenverkehr mühelos bewegen lässt. In der Tat haben wir keinen Zweifel daran, dass die Technik unter dem Blechkleid ausgereift ist – beim Innenraum muss Mercedes zukünftig aber spürbar nachlegen, um den Abstand, insbesondere zu Audi und BMW, nicht zu verlieren.
Bilder: Mercedes-Benz