Er ist bereits im freien Fall des Gebrauchtwagenstrudels angekommen, trotz der wahnwitzigen Leistung von 585 PS, aus dem Vollen geschöpft mit fünfeinhalb Litern Hubraum. 45.990 Euro kostet das E 63 S AMG T-Modell mit Allrad vom freundlichen Daimler-Händler ums Eck. Jahrgang 2013, sicherlich nicht immer sanfte 135.000 Kilometer auf dem Tacho. Aktionsfinanzierung steht dran, Aktion ist in jedem Falle drin! Das ist bekannt.
In 3,7 Sekunden haut uns der Pampersbomber wenn nötig auf Landstraßentempo, drückt weiter bis auf Tempo 305, da ist er dann abgeregelt. Der Mercedes-Benz E 63 S AMG zum Preis eines mittelmäßig ausgestatteten Golf R kann das, was selbst so manch gut ausgestattetem Sportwagen nicht gelingt und darüber hinaus noch mit Schwiegermutter und Töchterchen in den Urlaub reisen. Brauchen Sie noch mehr Argumente?
585 PS, 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h!
Die vernünftige der beiden Gehirnhälften wird gegen den AMG mit der Zeit immer leiser anschreien. Spätestens wenn 800 Newtonmeter und 585 PS mit – dank Allradantrieb – allen vier 19-Zöllern gleichzeitig in den Allerwertesten treten, sind sämtliche rationalen Gedanken so schnell vergessen wie die an Vertreterkombis mit Vierzylinder-Dieseln. Auch wenn diese Leistung fast so unscheinbar verpackt ist und nur die Schriftzüge an Heck und Seite die annähernde Potenz dieses Kombis verraten.
Rein subjektiv bestätigt der E 63 bei jeder Beschleunigungssequenz die bei allem Downsizing immer noch geltende Stammtischweisheit: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum. Denn so bärig und gleichmäßig unten raus beschleunigen kleinere Kaliber mit ähnlicher Leistung nicht. Auch deshalb ist es überraschend häufig der Fahrer selbst, der auf die vernünftigere der beiden Gehirnhälften hört: Die Eco-Taste drückt und das Gaspedal nur streichelt – mit 120 im siebten Gang die so derart vernachlässigte rechte Spur der Autobahn benutzt. Klingt bescheuert bei einem 585 PS V8? Nicht doch – das Warten auf Gegner macht immer noch am meisten Spaß…
Wirkliche Autobahn-Gegner finden sich selten
Aber so schnell kommt da eh keiner – und im Fahrprogramm “C” wie Comfort lässt sich die Gelassenheit der Leistung am schönsten auskosten. Hier hält der Automat, der keine Wandler-, sondern eine nasslaufende Anfahrkupplung besitzt, die Gänge verhältnismäßig lange hoch und spielt mit dem beträchtlichen Drehmoment, das quasi ab Leerlaufdrehzahl anliegt. Nur bei nachdrücklichem Befehl werden zumeist gleich mehrere Gänge zurückgeschaltet.
So brüllt der E 63 nur, wenn er soll. Irgendwie schön. Im Zweifel können auch die beiden Schaltpaddles benutzt werden. Leider wurde dem System die bereits häufiger bemängelte “Gedenksekunde” zur Umsetzung des Schaltbefehls immer noch nicht gänzlich ausgetrieben. Beschleunigung gibt es aber eh immer. Mal mehr und mal sehr viel mehr.
Das schöne am E 63 S AMG ist, dass sich der Fahr- und Beschleunigungsspaß nicht nur auf die Autobahn beschränkt. Denn die Art und Weise, wie dieser Powerkombi um die Ecke geht, ist das eigentlich Beeindruckende. Die ohnehin straff ausgelegte Airmatic könnte für uns immer im mittleren Sport-Modus verbleiben. Während sie uns in der Comfort-Stellung in schnell gefahrenen Kurven etwas zu unpräzise und weich vorkam, ist die Sport + Position zu hart und unkomfortabel.
Die dynamischen Seiten des E 63 S T-Modells
Dank Sperrdifferential an der Hinterachse und zusätzlichem Bremseingriff bleibt die befürchtete Kopflastigkeit fast völlig aus – das Ergebnis ist sogar ein leicht eindrehendes Heck und über weite Strecken faszinierende Neutralität. Der Allradantrieb verteilt die Leistung zu 67 Prozent nach hinten, was dem E 63 S eine beinahe hecktrieblerähnliche Fahrdynamik beschert. Nur eben ohne rauchende Hinterreifen.
Rauchende Bremsen dürfte es weiterhin auch nicht geben, solange einer der Vorbesitzer 8.271 Euro für die Carbon-Keramik-Bremsanlage investiert hat. Deren Bremsleistung ist über jeden Zweifel erhaben, die Dosierbarkeit für sich genommen schlicht perfekt. Bei einem 300 km/h (mit Performance Package) schnellen Zweitonner eine teure, aber überlegenswerte Sonderausstattung, die allerdings beim Gebrauchtwagen und möglicherweise notwendigen Tausch so deftig ins Geld geht, dass man es sich tatsächlich zweimal überlegen sollte.
Fazit
Unser Wunschmodell des E 63 ist auf dem großen Markt für Gebrauchte übrigens bisher noch nicht aufgetaucht: das Business-Paket ohne Sportabgasanlage hinten wurde wohl zu selten geordert, sodass es Mercedes-Benz kurze Zeit später wieder aus dem Programm nahm. Schade eigentlich. So in unscheinbarer Lackierung und dem “E 200 CDI”-Schriftzug hinten drauf macht er sich auch vor dem Reihenhaus ganz passabel.
Bilder: Mercedes-Benz